Obere Hauptstraße 84
Nahe dem südlichen Ortsende und recht dicht aneinander gebaut liegt eine Reihe von für unsere Gegend typischen alten Häusern, meist einstöckig, mit dem Spitzgiebel zur Straße hin. Im Hof sind oft noch die Zeichen der früheren Nutzung als Bauernhof zu sehen: hohe Scheunen für Getreide, Stroh, Heu, Tabak usw., Stallungen für Nutztiere, diverse ergänzende Räume (z.B. Kartoffelsilo) und der Misthaufen. Auch die Stelle wo früher das Plumpsklo samt Güllegrube war, ist meist noch erkennbar.
Das hier beschriebe Anwesen ist ein exemplarisches Beispiel für solches Aussehen und weist trotz einiger Modernisierungen noch alle genannten Merkmale auf. Es ist auch deshalb bemerkenswert, weil es schon seit April 1880, im Eigentum der Nachkommen des Jakob Pfisterer ist, der als Sohn des Johann Adam Pfisterer und der Katharina geb. Pfisterer am 14.12.1851 geboren wurde (vgl. separate Beschreibung zu Anwesen Obere Hauptstr. 5).
Das Anwesen, damals Nr. 569, umfasste 31,5 Ar, wofür die Käufer 4.400 Mark bezahlten. Hinter den Gebäuden zog sich ein großer Garten hin. Als Verkäuferin trat vor dem Notar die Maria Zahn geb. Rupp auf, denn es handelte sich um ihr „eheweibliches Gut“, was anzeigt, dass sie es von ihren Eltern erhalten bzw. geerbt hat. Trotzdem war die Ermächtigung ihres Ehemannes, des Landwirts Jakob Zahn, vorzulegen, denn eine Gleichberechtigung wie heute selbstverständlich, gab es damals noch nicht. Die Verkäuferin samt Ehemann und Kinder sind bald danach in die USA ausgewandert. Grund dafür dürfte Überschuldung gewesen sein, denn im Kaufvertrag ist auch vereinbart, dass „alles was nicht niet- und nagelfest ist, einschließlich 2 Öfen, Herd, Eiseheffe sowie die Gerüststangen in der Scheune“ vom Kaufpreis umfasst wurden. Da Letztere wohl vom Haus-Neubau stammten, kann angenommen werden, dass die Gebäude noch recht neu waren. Dazu passt, dass diese Gegend von Hockenheim erst ab etwa 1870 bebaut wurde. Auffällig ist auch, dass das Anwesen mit Grundpfandrechten von insgesamt 4.196,41 Mark belastet war, wovon 196,41 Mark auf zwei Zwangseintragungen beruhten.
Jakob Pfisterer bezog das Haus mit seiner Frau Anna Margaretha geb. Adolph aus Reilingen, dem drei Monate alten Sohn Ludwig und seinem ledigen Bruder Peter (*02.09.1855 +20.04.1903) .
Bis 1890 kamen in dem Haus 7 weitere Kinder zur Welt. Zu diesen und weiteren Angehörigen der Familie Pfisterer sind folgende schicksalhafte Daten bekannt: 1903 stirbt der Bruder Peter; 1905 stirbt Jakob Pfisterer; 1905 heiratet Sohn Peter (ausgezogen ins Haus Franziska „Melli“ Klee; 1907 heiratet der erste Sohn, Ludwig. Das Paar wohnt ebenfalls im Haus und kann sich 1909 an der Geburt der Tochter Elisabeth freuen; 1910 heiratet die Tochter Anna Maria den Martin Hoffmann, der ebenfalls ins Haus einzieht (später Futtermittelgeschäft in der Heidelberger Straße). Diesem Paar werden bis 1918 vier Kinder geschenkt; 1913 stirbt die Frau von Jakobs Sohn Peter an Kindbettfieber, die 4 Kinder werden tagsüber in der Oberen Hauptstr. 84 versorgt; 1915 fällt Sohn Ludwig im 1. Weltkrieg und seine Witwe zieht mit Tochter Elisabeth in die Obere Mühlstraße zurück, woher sie stammt; 1919 stirbt Jakobs Witwe Anna Margaretha geb. Adolph; im gleichen Jahr kommt Sohn Philipp aus der Kriegsgefangenschaft zurück und es wird zu eng im Haus, weshalb die Verhältnisse neu geordnet werden müssen. Als Folge kauft Martin Hoffmann und Anna Maria ein Haus in der Heidelberger Straße und ziehen dorthin um; 1920 heiratet Sohn Philipp die Katharina Christ, überminnt das hier beschriebene Anwesen und zeugt bis 1930 drei Kinder; ebenfalls im Jahr 1920 heiratet der in Mannheim lebende Sohn Johann die Katharina Keil, womit von den Kindern des Hauskäufers Jakob, der 1880 das Anwesen erwarb, noch drei dort wohnen, nämlich Philipp, Michael und Katharina; Letztere ist ledig geblieben und 1926 zu ihrer Schwester Anna Maria Hoffmanns in die Heidelberger Straße gezogen; schon in Jahr danach heiratet ihr Bruder Michael die Magdalene Heilmann und zieht in deren Elternhaus in der Oberen Hauptstr. 79; 1967 stirbt Philipp Pfisterer und sein Sohn Karl übernimmt das Anwesen; schon elf Jahre danach muss dieser seinem Vater folgen und sein Erbe fällt an die Erbengemeinschaft aus seiner Witwe Elisabeth und den beiden Söhnen Werner und Wilfried.
An Änderungen bezüglich Grundstücksgröße und Bausubstanz sind bekannt:
im Jahr 1894
Kraichbachverlegung, verbunden mit Mühlgrabenvertiefung bringt die Halbierung des Gartens mit sich; 1912 Bau eines Schweinestalls; 1929 Bau einer Futterkammer hinter der Scheune; 1932 Anbau eines Schuppens im Hof; 1938 Neubau eines Tabaktrockenschuppens im Garten hinter der Scheune; 1963 Aufstockung des rückwärtigen Teils des Wohnhauses; 1979 Umbau des Kartoffelsilos zur Werkstatt.
Die jetzigen Eigentümer pflegen das Anwesen und gestalten alle Eingriffe in die Bausubstanz so, dass der ursprüngliche Charakter des bäuerlich geprägten Ensembles erhalten bleibt. Dies gelingt umso mehr, als Werner Pfisterer noch eine kleine Nebenerwerbs-Landwirtschaft betreibt.
Verfasser: Werner Pfister und Horst Eichhorn, unterstützt durch Inge Rösch geb. Kammer